Alltagsleben

Längst hat sich auch für mich ein Gefühl des Alltags eingestellt. Zwei mal pro Monat segeln wir mit bis zu zwanzig Gästen zwischen Zentral - und Südamerika, in den Städten füllen wir unsere Vorräte auf und in der Comarca Panamas geniessen wir unseren Urlaub – theoretisch – denn auf dem alten Schiff ist immer was zu tun. Die alte Maschine braucht viel Plege, an der Elektrik ist noch einiges zu tun und die Aufgabenlisten werden eher länger als kürzer. Trotzdem bleibt Zeit für einen Schnorchelgang zwischendurch und einige ruhige Abende in der Hängematte.  

 

So rücken Medien und Zivilisation immer weiter weg, die Inseln vor der Haustür und das kristallklare Wasser unter mir sind zu einem gewohnten Bild für mich geworden – Ich fühl mich hier „zu Hause“. Kuna Indios kommen immer wieder zu Besuch an Bord, laden uns ein zu ihren fröhlichen Festen oder bitten um Nachbarschaftshilfe. Für sie besteht der Alltag aus Fische fangen, Wasser vom Fluss holen, kochen, mit den Kinder spielen... Ein Wort für „Arbeit“ gibt es in ihrer Sprache nicht.  Jeden Monat wird gefeiert, meistens, wenn ein Mädchen zur Frau wird. Dann wird ihr Haupthaar geschnitten und Chicha* gegoren. Sobald der Sailer* den Trunk für gut befindet, nimmt die Feier ihren Lauf, es wird gesoffen bis zum Umfallen und bis vom Maissaft nichts mehr übrig ist.  

 

Letztes Jahr erklärten wir uns bereit, die Sailer aller Stämme im Westen von SanBlas zum großen Kuna Kongress zu bringen. Es war ein klarer sonniger Morgen, wir hatten guten Wind und legten unter Vollzeug ab. Ich saß im Dhingi und beobachtete aus der Ferne, wie der alte Schoner majestätisch zwischen den Riffen hindurchsegelte, während ich von einer Insel zur nächsten düste, die Stammeshäuptlinge einlud und bei voller Fahrt aufs Schiff brachte. Bald füllte sich das Deck mit den kleinen bunten Kunas. Ihre Einladung, am Kongress teilzunehmen, lehnten wir höflich ab, wir freuten uns auf einen ruhigen Abend, bevor die nächste Fahrt begann.  

 

Dann war da diese Aluminiumsegelyacht, die ein Rentnerpärchen auf ein Riff gefahren und in ihrer Verzweiflung aufgegeben hatte. Ein wunderbares Boot, das mit ein bisschen Geschick schnell wieder hätte seeklar gemacht werden können. Da es aber niemanden mehr gehörte, wurde es stückweise ausgeschlachtet, bis außer dem Rumpf nicht mehr viel übrig war. Chombo, unser Lebensmittel Lieferant kaufte die Havarie schließlich, um sie zu einem Frachter umzubaun und wollte sie sich von uns vom Riff ziehen lassen. Zwei Tage brauchten wir, um die Yacht ins tiefe Wasser zu bekommen. Auf den Festmachern war soviel Zeng drauf, daß sie immer wieder rissen und die zurückschießenden Enden die Relingsverstrebung zerschlugen. Als sich dann noch ein paar andere Beschläge verabschiedeten, fanden wir endlich den richtigen Winkel um den Alurumpf ins tiefe Wasser zu winden, der sofort zu zwei Drittel versank. Eine Zeitlang gaben die Fässer, die wir ins Innere gestopft hatten, dem Rumpf noch ein bisschen Auftrieb, doch von Minute zu Minute sank das Boot mehr und mehr ab und wir schafften es gerade noch so bis zum Strand. Dort lag es dann, bis eines Tages einer Dorfältesten aufgeregt von einer Meerjungfrau erzählte, die sich angeblich auf diesem Boot einquartiert hatte und drauf und dran war, ein Kind zu gebähren. Die Kunas hatten eine Heidenangst vor Meerjungfraün - ein paar Tage später war das Boot verschwunden.  

 

So wird´s auch im Paradies nie fad. Die Zeit in Kolumbien aber bedeutet Termine, Organisation und manchmal auch Zeitdruck. Erst vor einigen Wochen hatten wir den alten Schoner im Trockenen. Die Werft hatte sich gerade einen neuen Travellift zugelegt und noch nie zuvor ein 230 Tonnen schweres Segelschiff aus dem Wasser gehoben. Auf sechs Gurten ließen sie uns in der Luft baumeln und alles schien zu halten, bis der Boden nachgab und eines der Räder des Lifts zur Hälfte einsank. Mit schwerem Gerät zog man uns aus dem Loch, bockte den Rumpf notdürftig auf und ließ uns dort stehen. Es sah nicht so aus, als würden wir von dort bald wieder weg kommen aber unsere nächste Überfahrt war fast ausgebucht und schliesslich schafften wir es nach vier Tagen und Nächten Accordarbeit doch noch rechtzeitig zurück ins Wasser.