No es facil

„Fängst du jetzt mit Radfahren an?“ fragte mich Alexis, als ich frühmorgens den Dachträger seines Jeeps vollpackte. Auch Lulu grinste, als ich mit zwei nagelneuen Drahteseln im "Kajuko" aus dem Dschungel kam. „Ein Gang, eine Bremse“ rief ich „da kann nicht viel schief gehn!“

 

Die Idee, durch Kuba zu radeln, war damit beschlossene Sache. Bei gutem Wind segelten wir in wenigen Tagen nach Cienfuegos, legten dort den Schoner an die Pier und machten unsere Fahrräder reisetauglich. Dann schwangen wir uns in die Sättel, spannten unsere Segelschirme auf und los gings bei achterlichem Wind Kurs Nordwest. In der Mittagshitze machten wir Rast im Schatten der Bäume, holten den Gerstensaft aus unseren Kühlboxen, die wir auf den Lenkern montiert hatten und fuhren leicht angeheitert weiter, bis wir abends irgendwo nordöstlich auf der Autobahn an einem Motel vorbeikamen.  

 

Dass alle Betten ausgebucht waren störte uns nicht weiter „Wir legen uns da drüben unterm Baum“ antwortete ich dem Personal und reichte ihnen unser letztes Bier. Dann parkten wir die Drahtesel im Rasen, warfen unsere Wäsche hinter einen Strauch und sprangen in den Hotelpool, während die Jungs den kleinen Pavillon aufsperrten, für uns Essen kochten und ein paar Mädchen aus dem Nachbardorf holten.  

 

Aus der ruhigen Nacht unter dem Baum wurde nichts. „Bevor die Sonne aufgeht, müsst ihr hier raus sein“ meinte ein Kumpel und reichte uns den Schlüssel zu einem der Appartements. So radelten wir im Morgengraün auf der Autobahn wieder zurück auf den alten Kurs, warfen zu Mittag unsere Räder über den Zaun und hielten auf der Weide unter einem grossen schattigen Baum unsere wohl verdiente Siesta ab.

 

„Was macht ihr hier?“ rief die Tochter des Pächters, die mit ihrer Freundin plötzlich da stand und uns aus dem Schlaf riss. Für sie waren wir recht seltsame Gestalten. Hier in Kuba hat jeder ein Dach über dem Kopf, keiner muss im Freien schlafen. Und dass wir freiwillig weiter als bis ins nächste Dorf radeln wollten, glaubten sie erst, als sie die Drahtgestelle der Schiffskühltruhe, die wir als „Gepäckträger“ benutzten und den Campingkram in den schwarzen Mülltüten entdeckten. „No es facil!“ meinten die beiden Mädchen und führten uns zu einem leerstehenden kleinen Haüschen. „Hier könnt ihr bleiben - wenigstens diese Nacht“.  

 

Katti und ich waren Freunde von dem Moment an, als sie mir verriet, dass sie auf der Innenseite ihrer Unterlippe „Roli“ eintätowiert hatte. Ich musste schmunzeln als ich mit ihr auf der Mittelstange zum Markt radelte. „No es facil!“ sagte sie - ein Spruch, der uns von nun an ständig begleiten sollte auf unserem Weg durch Kuba.  

 

Stück für Stück fielen unsere Fahrräder auseinander, Lager zerbröselten, Pedale brachen weg, Rahmenteile verbiegten sich und wir suchten Fahrradwerkstätten in fast jedem Dorf auf, in dem wir vorbeikamen. Die Menschen halfen uns wo sie konnten wir blieben bei ihnen und hörten ihre Geschichten:

 

Nahrung und Kleider hatte in Kuba ein jeder, wenn auch nicht genug. Medizinische Versorgung und Ausbildung war selbstverständlich, doch für ein bisschen mehr Luxus fehlte es immer an Geld. Die Menschen träumten vom Reisen, obgleich viele ihr eigenes Land noch gar nicht kannten - „No es facil“. Einige von ihnen aber - und nicht nur die Alten – sahen es als ein Privileg an, in einem Land zu leben, in dem man nicht ums Überleben kämpfen muss, in dem immer wieder herzliches Lachen und lebendige Musik aus den Gassen klingt, ein Land, in dem man sich kümmert um Schwächere und Kranke, und wo die Menschen einander noch Geschichten erzählen und die Zeit finden, zuhören.

 

Mit letzter Kraft schafften wir es nach Havanna und in die Nähe des Bahnhofs, als sich die Hinterreifen mit einem lauten Knall verabschiedeten. Der Zugführer warf die beiden Räder in die Lok zur Maschine und gab uns zwei Plätze im Personalabteil. Zum ersten Mal regnete es heftig und alles war nass. Einer der Schaffner, den Lulu gebeten hatte, das Fenster gegenüber zu schliessen schob im Vorbeigehen kommentarlos den scheibenlosen Fensterrahmen nach oben – Den ganzen Tag rumpelten wir auf dem alten desolaten Schienennetz zurück nach Cienfuegos, fuhren spät Abends unsere Havarie auf einem Eselskarren zurück zum Schiff und vers-ch-enkten sie am nächsten Tag.

 

Mit neuer Besatzung an Bord und frischem Wind in den Segeln legten wir ab nach Santiago und weiter Richtung Osten, Kurs - Jamaika. *

 

* „No es facil“ - Es ist nicht leicht!